
Die Locitechnik in der Praxis
Ist die Locitechnik praxistauglich?
Die Disziplinen des Gedächtnissports beschäftigen sich gerne mit trockenen, letztlich sinnlosen Informationen: Zahlen, Binärziffern, Spielkarten, zusammenhanglose Wörter, geometrische Figuren.
Der Sprung in die Praxis scheint nicht offensichtlich. In einem Buch über Lerntechnik habe ich sogar gelesen, es gäbe garkeine Möglichkeit, die Loci-Technik sinnvoll zur Prüfungsvorbereitung zu nutzen.
Meine Erfahrung ist anders. Ich hatte früher ein Problem damit, große Mengen Stoff auswendig zu lernen. Mit der Locitechnik fiel es mir zwar nicht leichter, dafür hatte ich aber mit weniger Zeitaufwand mehr Erfolg.
Aber der größte Vorteil der Technik ist die Sicherheit. Man weiß genau, dass man alle Details, die man beim Lernen definiert und abgelegt hat, flüssig abrufen kann.
Stoff flach machen
Im "Brainboard" ist die am Häufigsten gestellte Frage: "Wie kann ich Mnemotechnik für einen komplexen Stoff mit Querverbindungen einsetzen?"
Das große Geheimnis ist: Flach machen! Die Locitechnik speichert eine lineare Kette von Bildern.
Ein großes Problem scheint für viele der Gedanke zu sein: "Aber mein Stoff ist doch komplex!"
Jeder Stoff kann linear dargestellt werden, also in eine Kette von Stichpunkten/Gedanken umgesetzt werden. Sonst würde der Lernstoff ja nicht zwischen zwei Buchdeckel passen, oder? Man kann Wörter nur eins hinter dem anderen aufnehmen oder widergeben. Ein Vortrag in einer mündlichen Prüfung besteht idealerweise auch aus einer linearen und kohärenten Folge von Wörtern.
Selbst Bilder und Schemata sind dafür geeignet. Die Details der Abbildung werden hintereinander aufgezählt. Möglichst in einer Reihenfolge, die sinnvoll erscheint. Verbindungen und Zusammenhänge bleiben meistens im Gedächtnis, ohne sie extra kodieren zu müssen. Falls nicht, ist jede weitere Verbindung ein weiteres Detail, welches man als Bild ablegen kann.
Der auf diese Weise auswendiggelernte Stoff ist zunächst nur abrufbar, nicht unbedingt anwendbar. Für die meisten Prüfungen reicht das schon.
Wenn wirklich mal eine hohe Anwendungskompetenz gefordert ist, wo man sich nicht ein paar Minuten auf eine längere Antwort vorbereiten kann, dann reicht es meistens aus, die Liste noch öfter zu wiederholen und den Anwendungszusammenhang zu üben. Häufige Wiederholung erhöht die Abrufgeschwindigkeit und festigt das Verständnis.
Für Einsteiger
Das Problem aller Anfänger in der Mnemotechnik ist, nicht genug Routen zu haben. Das lässt sich mit der Zeit ändern. Aber am Anfang ist die Anzahl der Haken einfach begrenzt.
Daher können Anfänger versuchen, mehrere Stichworte an denselben Haken zu knüpfen. Die Stichworte sollten untereinander durch witzige oder zumindest anschauliche Handlungen verknüpft werden, wie bei der Storytechnik.
Allerdings erfordert diese Methode mehr Wiederholungen, selbst wenn man für eine kurzfristige Prüfung lernt. Die Verknüpfungen zwischen den Stichworten sind zu verwirrend, erst recht wenn dieselben Bilder in verschiedenen Zusammenhängen mehrfach auftreten, zum Beispiel Symptome wie Husten oder Schnupfen bei verschiedensten Krankheiten.
Für Fortgeschrittene
Für Fortgeschrittene, oder alle, die verstanden haben, dass man so schnell wie möglich viele Routen benutzen sollte, ist die “flache” Routentechnik besser geeignet. Möglichst nur ein Stichwort pro Routenpunkt, vielleicht auch zwei oder drei.
Welche der beiden Herangehensweisen für welchen Stoff besser geeignet ist, hängt von jedem selbst ab und von der Stoffmenge. Ich musste meistens über 100 Seiten pro Prüfung lernen, mit sehr vielen Details und Fachwörtern. Wer nicht ganz so viel lernen braucht, der kommt mit vielen Details pro Routenpunkt noch gut zurecht.
So lerne ich
Um darzustellen, wie man es machen kann, beschreibe ich meine Vorgehensweise, die sich in den letzten Prüfungen kaum noch geändert hat.
Zuerst mache ich mir eine Liste mit allen Routen stichpunktartig, also "Fitnessstudio, Pathologie, Mensa, Oma, Tierzucht" etc.
Ich unterteile den Stoff in kleine Einheiten. Wie klein genau, kommt auf den Stoff und das Lernmaterial an. Zum Beispiel in einem beantworteten Fragenkatalog wäre das eine Frage, die auf ein paar Seiten beantwortet wird. Diese Einteilung brauche ich mir nicht aufschreiben, denn sie ergibt sich direkt aus dem Lernmaterial. Wenn nicht, dann ist das meistens ein Zeichen dafür, dass das Lernmaterial eher suboptimal geeignet ist, auch für konventionelles Lernen.
Ich suche mir eine Route aus meiner Liste aus, auf die ich einen bestimmten Lernhappen speichern will. Diese Auswahl ist rein intuitiv, hängt natürlich auch von der Menge an Details an, die ich in diesem Abschnitt erwarte. Oft passen mehrere Themen auf eine Route, manchmal auch nicht. Probleme oder Verwirrung deswegen gibt es nicht, vorrausgesetzt man hat ein gewisses Grundverständnis von dem Fach was man lernt.
Wenn ich ein Skript vor mir habe, unterstreiche ich manchmal die Stichwörter. Beim Unterstreichen verknüpfe ich das Stichwort gleich an einen Routenpunkt. Stichworte sind dabei Wörter, die mich an alle Details erinnern, die ich in der Prüfungssituation abrufen können will. Nicht mehr und auch nicht weniger.
Je nach Stoff gibt es auf einer Seite zwischen fünf und 50 solcher Stichworte. Eventuell sogar noch mehr, ganz besonders wenn der Text eher Aufzählungscharakter hat, oder gar eine ausführliche Tabelle enthält. Allerdings nicht jede Tabelle im Skript / Buch ist des Auswendiglernens würdig!
Meistens nach einer solchen Einheit wiederhole ich die Stichworte anhand meiner Liste im Kopf. Dabei fallen ein paar Stichworte durch, die ich nochmal nachlese. Diese Wiederholung dient also auch dazu, schlechtere Bilder auszubessern.
Danach mache ich entweder eine kurze Pause oder gehe zum nächsten Happen über. Am selben Tag wiederhole ich die Stichpunkte möglichst noch einmal.
Jetzt kommt es auf die Stoffmenge und die Ausdehnung der Lernzeit an, wann und wie ich den Stoff vor der Prüfung nochmal wiederhole. Wenn ich den Stoff in einem oder höchstens zwei Tagen vor der Prüfung nochmal durchlesen kann, reicht diese eine Wiederholung für mich aus. Ich nenne das gerne Turbowiederholung, weil ich den Text anhand meiner Route nachvollziehe, und eventuelle Lücken schließe, was sehr sehr schnell geht. Es ist kein Problem, ein 300 Seitenskript innerhalb eines (langen) Tages durchzulesen. Als Wiederholung geht das, als erstmaliges "speichern" wäre diese Geschwindigkeit - für mich zumindest - fatal.
Wenn die Stoffmenge wirklich zu groß ist für die Wiederholung an einem Tag, oder die Prüfung sehr weit in der Zukunft liegt, muss ich den Stoff in größeren Abständen nochmals wiederholen. Dasselbe gilt, wenn ich Zeit und Motivation übrig habe, um Stoff für langfristiges Behalten vorzubereiten. Ich habe allerdings nicht den Eindruck, dass man Stoff weniger lange behält, nur weil man sich zuerst auf den Tag der Prüfung konzentriert. Mit anderen kann ich mich da schwer vergleichen, weil ich kein natürliches Talent für Detailwissen hatte, im Gegensatz zu vielen anderen Tiermedizinstudenten, und diese Einschätzungen immer sehr subjektiv sind, aber ich sehe auch keinen signifikanten Nachteil gegenüber den Meisten.
Anatomie
Als ich für Anatomie gelernt habe, da habe ich diese Methode noch nicht so extrem angewendet. Für Anatomie hatte ich einige Themen so gelernt. Aber nicht allzu viele. Daher ist die folgende Beschreibung zu verstehen als "so würde ich es machen wenn ich es nochmal lernen müsste".
Wenn Du einen Knochen erklären musst, dann fährst Du am Besten damit, die Knochenpunkte aus der Abbildung oder dem Text aufzusagen. Also speicherst Du dir diese Punkte in einer Liste ab. Wenn diese Reihenfolge auch noch räumlich am Objekt Sinn macht, um so besser!
Damit hat man natürlich noch nicht die Anatomie verstanden. Aber wenn man mit dieser Liste im Kopf ans Präparat tritt und sich näher damit beschäftigt, dann geht das ganze schon viel besser.
Für Muskeln mit Ansatz, Ursprung und Innervation jeweils ein Stichwort für Namen, Ansatz, Ursprung und Innervation legt man jeweils ein Symbol oder mehre auf jeweils einen Routenpunkt hintereinander. Alternativ kann auch die Datenbanktechnik benutzt werden.
Man kann die Muskeln nach Innervation gruppieren, so dass alle vom selben Nerven innervierten Muskeln hintereinander liegen. Wo in der Route das eine Gebiet aufhört und das Andere beginnt bleibt erstaunlich gut haften!
Die Einteilung nach Nerven macht sehr sehr viel Sinn, denn die Nomenklatur der Muskeln bei verschiedenen Tierarten orientiert sich an den Nerven. Das bedeutet, das nicht plötzlich derselbe Muskel oder ein anderer Anteil desselben von verschiedenen Nerven bei verschiedenen Tierarten innerviert wird.
Andere tierartliche Unterschiede lassen sich zusätzlich an die Details knüpfen. Die tierartlichen Unterschiede sind von ihrer Priorität weit hinter den Namen, der Lokalisierung und der Funktion anzusiedeln. Nicht unwichtig, aber nicht das Wichtigste!
Organthemen sind eher als Text zu verstehen und zu lernen. Hier steht dann weniger (aber auch) die Benennung von Strukturen im Vordergrund, als vielmehr die Funktionsweise und das Zusammenspiel. Also wieder in Themen und Stichpunkte aufteilen und dann auswendig lernen.
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